Journalismus kennt keine Grenzen

Katharina Siuka
#wegoyugo jpr13
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5 min readNov 2, 2015

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Unabhängiger Journalismus beginnt mit der Überwindung von Vorurteilen. In einem Land, wo verschiedene Ethnien zwar nebeneinander leben, sich aber immer noch bewusst voneinander abgrenzen, erscheint ein solcher Anspruch fast utopisch. Unmöglich ist er trotzdem nicht, wie das „Balkan Investigative Reporting Network“ (BIRN) seit Jahren unter Beweis stellt.

Von Camilla Annabith und Katharina Siuka

General Marschall Tito, Oberhaupt von Jugoslawien, verfolgte einen sozialistischen Kommunismus in einem Land, das es so heute nicht mehr gibt. Medien waren infiltriert, Kritik am Staat unerwünscht. Tito ist zwar schon lange tot, aber noch nicht verblichen. Seine Spuren finden sich noch an zahlreichen Orten am Balkan. In Sarajevo etwa, Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, steht eine Kaserne, benannt nach ihm. Das weitläufige Areal wird heute von der Universität genutzt. Die junge Generation lernt hier über Geschichte und Politik, Wirtschaft und Kultur.

Srećko Latal, Gründungsmitglied von BIRN © Boris Böttger

In einem kahlen, kalten Raum in einem der Gebäude — nach dem Krieg hielt hier die NATO ihre täglichen Pressekonferenzen ab, heute residiert hier das CIPS, das Zentrum für interdisziplinäre Postdiplomstudien der Uni — sitzt der Journalist Srećko Latal und spricht über „sein“ Bosnien, wie es war und wie es ist. Über traumatische Erfahrungen im Krieg, kurze Lichtblicke nach dessen Ende und ernüchternde Einsichten in den letzten Jahren. Und er spricht über guten Journalismus.

Als Korrespondent für die „Associated Press“ berichtete er in den neunziger Jahren nicht nur aus den Krisengebieten Jugoslawiens, sondern auch aus Afghanistan und Pakistan. Danach arbeitet er als Analyst für die Weltbank, war Teil der Monitoring Mission der Europäischen Union, die 1991 mit einer Beobachtermission im ehemaligen Jugoslawien startete. Bis 2008 war er für die NGO „International Crisis Group“ tätig. Nach deren Auflösung gründete Latal seinen eigenen Thinktank namens „Social Overview Service“ (SOS). Vor allem durch seine Arbeit für AP orientierte er sich schon früh am Stil westlicher Journalisten, der ihm in jungen Jahren als nahezu makellos erschien und jenem im eigenen Land vorzuziehen war. Nach jahrelanger Erfahrung sieht er das Ideal eines unabhängigen Journalismus kritischer: „So lange jemand dein Gehalt bezahlt, gibt es keine unabhängigen Medien.“ Trotzdem setzt er sich für eben dieses Ideal in seiner Heimat ein.

Ein Netzwerk — viele Medien

Denn nicht nur während, sondern auch nach Ende des Balkankriegs war die Medienlandschaft in Bosnien einseitig und instrumentalisiert, erzählt er. Der Großteil der Journalisten war sich der Konsequenzen ihrer Berichterstattung nicht bewusst. Mit einem Minimum an Ressourcen baute Latal mit gleichgesinnten Kollegen ein Netzwerk auf, das sich unabhängigen Qualitätsjournalismus an die Fahnen geheftet hat: Das BIRN — Balkan Investigative Reporting Network — spezialisiert sich seit 2004 darauf, Themen aus allen Balkanstaaten an die Weltöffentlichkeit zu bringen.

In der ehemalige Marschall Tito Kaserne spricht Srecko Latal über unabhängigen Journalismus. © Boris Böttger

Dazu dient in erster Linie das Onlinemedium „Balkan Insight“, welches vorwiegend in englischer Sprache publiziert, aber auch eine Reihe lokaler Publikationen in den Landessprachen veröffentlicht. Ein Feature des Mediums ist etwa die laufende und detaillierte Berichterstattung von den Prozessen, die den Kriegsverbrechern des Balkankriegs noch heute gemacht werden. Eine eigene Redaktion in Sarajevo nimmt sich dieses Projekts namens „Balkan Transitional Justice“ an und berichtet regelmäßig auf verschiedenen Kanälen — neben Onlinebeiträgen auch über Radio und Fernsehen. Das Projekt will damit sicherstellen, dass der Bevölkerung des ehemaligen Jugoslawiens freier Zugang zu unvoreingenommenen Nachrichten sicher wird. Hauptzielgruppe von „Balkan Insight“ ist aber trotzdem die internationale Gemeinschaft — Botschaften, Ministerien, die Vereinten Nationen und Medien aus aller Welt. Man will dafür sorgen, dass die Probleme des Balkans nicht übersehen werden.

Innere Konflikte

Gerade jetzt, 20 Jahre nach dem Dayton-Friedensabkommen, will BIRN aufzeigen, dass vor allem Bosnien und Herzegowina noch nicht annähernd dort ist, wo es nach zwei Jahrzehnten Frieden sein sollte. Unmittelbar nach dem Krieg zählte Bosnien zwar in puncto Entwicklung zu den Vorzeigestaaten des ehemaligen Jugoslawien, doch vor allem seit 2006 stecke das Land in großen Schwierigkeiten. Für die Stagnation der Entwicklung des Landes macht Latal vor allem zwei Faktoren verantwortlich: das gespaltene politische System mit insgesamt drei Präsidenten (ein Serbe, ein Muslime und ein Kroate), in dem sich die Parteien permanent gegenseitig blockieren, und die Inkonsequenz des Hohen Repräsentanten. Denn obwohl die Person des Hohen Repräsentanten über weitreichende Befugnisse und Kompetenzen verfügt — so könnte der HR bosnische Politiker ihres Amtes entheben und Gesetze erlassen (die sogenannte „Bonn Powers“) — nutzt er diese nicht. Vor allem seit 2006, als die Europäische Union das Office of the High Representative (OHR) schließen wollte und sowohl USA als auch die Türkei dagegen waren, ist die Funktion des Hohen Repräsentant de facto eingefroren.

Dabei wäre eine ordnende Hand von außen, die in diesem Politchaos durchgreift, dringend vonnöten. Das Land ist grundsätzlich in zwei Teile gespalten: die Republika Srpska mit einem serbischen Präsidenten und die Föderation mit einem muslimischen und einem kroatischen Präsidenten. Zusätzlich verfügt jeder Kanton des Landes über ein eigenes Parlament; im Amt sind über hundert Minister. Diese innere Zersplitterung Bosniens ist mittlerweile erneut so groß geworden, dass ein Sicherheitsproblem bestehe. „Die Menschen sind extrem entmutigt und notleidend“, sagt Latal. Alleine in den vergangenen Sommermonaten gab es über 200 Übergriffe, die ethnisch motiviert waren. „Die Situation heute ist beinahe am selben Punkt wie 1996“, vergleicht der Journalist.

Trotz Krisen auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene sieht Latal Hoffnung für Bosnien. © Boris Böttger

Doch trotz dieser Separation innerhalb des Landes sieht er Hoffnung: Bei der Flutkatastrophe vor einem Jahr ließ die Regierung das Volk alleine und reagierte erst Tage später auf das Hochwasser und die Schäden. Über die ethnischen Mauern hinweg halfen sich die Bosnier gegenseitig, um ihre Existenz zu retten beziehungsweise wieder aufzubauen. Könnten diese Mauern auch im Alltag überwunden werden, wäre das Land auf einem guten Weg in eine bessere Zukunft. Srecko Latal selbst kennt diese Mauern nicht. Als Atheist inmitten einer multikulturellen Familie wuchs er frei von den gängigen Vorurteilen gegenüber den Volksgruppen in Bosnien und Herzegowina auf. Diese Vorurteile werden, meint Latal, nicht nur durch Erziehung und Umfeld vermittelt, sondern auch durch die Medien geprägt. Als Journalist zieht er einen signifikanten Vorteil aus seinem familiären Hintergrund: „In diesem Land zähle ich mich mit meinem Stil zu den besten Journalisten.“

Um zu beweisen, dass Journalismus auf ehemals jugoslawischen Staatsgebiet auch anders geht, publiziert BIRN aus sämtlichen Balkanstaaten und bildet seine Journalisten umfassend aus. Denn um professionellen und unabhängigen Journalismus zu gewährleisten, ist es notwendig, alle Blickwinkel einer Geschichte zu beleuchten. Und im Falle von BIRN sind das Sichtweisen, die über ethnische und nationale Grenzen hinwegblicken.

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Katharina Siuka
#wegoyugo jpr13

Journalistin, die berufsbegleitend "Content Strategy" studiert. Bloggt über die Verknüpfung beider Disziplinen, Arbeit und Studium und über Achtsamkeit.