“Jugoslawien war super”

Katharina Siuka
#wegoyugo jpr13
Published in
4 min readNov 27, 2015

--

Ivan Osim, bosnische Fußballlegende und ehemaliger Trainer des SK Sturm Graz, erzählt über den Jugoslawienkrieg, die zwiespältige Rolle Europas, Politik in seiner Heimat und natürlich über Fußball.

“Es ist praktisch unmöglich, zu vergessen, was passiert ist.” (Ivan Osim)

Von Katharina Siuka
Fotos: Camilla Annabith

1995 unterschrieben die Kriegsparteien Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kroatien das Dayton-Friedensabkommen. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien war beendet. Zu diesem Zeitpunkt lebte Ivan Osim bereits ein Jahr in Graz, seine Frau und Kinder nach wie vor in Sarajevo. “Jedes Mal, wenn das Telefon geklingelt hat, hatte ich Angst davor abzuheben. Ich hatte Angst, jemand ruft an und sagt, meine Frau oder meine Kinder seien getötet worden. So zu leben ist nicht leicht.”

“Ich habe den Eindruck, Europa hat den Krieg wie ein Theater hingenommen.” (Ivan Osim)

Eine Erfolgsgeschichte

Er selbst kam 1994 nach Österreich, um Sturm Graz zu trainieren. In seiner Amtszeit, die acht Jahre dauern sollte, führte der gebürtige Bosnier sein Team zu zwei Meistertitel und drei Mal in Folge in die Champions League. Davor trainierte Ivan Osim etwa bis zum Beginn des Krieges die jugoslawische Nationalmannschaft. Für diese lief er auch selbst als Nationalspieler auf. Als aktiver Fußballspieler verbrachte er viele Jahre in Sarajevo beim FK Željezničar, wo er den Spitznamen Strauss trug — seine Ballbehandlung und sein Fußballspiel seien wie Musik gewesen. Noch heute wird Osim als Fußballlegende verehrt.

“Hier (in Sarajevo, Anm.) wissen die Leute immer sofort alles, was passiert. Wenn sie etwas wissen wollen, müssen sie nur ins Café gehen.” (Ivan Osim)

Fragestunde im Kaffeehaus

Im Rahmen der Gemeinschaftsrecherche, die uns von Graz unter anderem nach Sarajevo führte, entstand ein Interview mit ihm. Der heute 74-Jährige ist schwer gezeichnet von einem Schlaganfall vor acht Jahren. Er nahm sich dennoch eineinhalb Stunden Zeit, um sich im Herzen Sarajevos auf eine Kava zu treffen — eine Begegnung mit einer Ikone. Gäste des Kaffeehauses Bečka Kafana, das Cafés in Wien gleicht, blickten sich nach Ivan Osim um und wollten ein Foto mit ihm schießen. Das war ihm beinahe unangenehm; trotz seines Ruhmes gab er sich schon immer bescheiden. Während des Gesprächs erzählte Osim viel und gestikulierte wild mit seinem gesunden rechten Arm; seine Augen sprühten vor Leben, während er sprach und manchmal sogar scherzte: “Wenn Sie mir noch eine Frage stellen, werde ich taub.”

“Graz ist für mich wie Sarajevo. Es ist wie zu Hause.” (Ivan Osim)

Herr Osim, wie geht es Ihnen?
Ich möchte gerne „gut, danke“ antworten. Aber wenn es mir nicht gut geht, kann ich auch nicht sagen, dass es gut ist. Ein Schlaganfall ist schwer zu heilen. Gut, dass ich am Leben geblieben bin. Es war knapp.

Hier im Café sieht es auch aus wie in Wien. Wollten Sie sich deshalb hier treffen?
Hundertprozentig. Wie in Wien oder Graz. Graz ist für mich wie Sarajevo. An vielen Häusern können Sie den österreichischen Einfluss erkennen, an anderen den muslimischen. Und an vielen die Spuren des Bmbardements im Krieg.

Sie haben einmal gesagt: “Die Leute in Bosnien und Herzegowina müssen weiterleben. Zuerst leben, dann wieder zusammenleben, um dann vielleicht besser zu leben.“ Tun sie das heute nach 20 Jahren Frieden?
Wo habe ich das gesagt?

1999, in der Dokumentation „Meine Stadt: Sarajevo“.
Wir leben schon zusammen. Wir spielen zusammen Fußball. Politisch ist die Situation eine andere. Die Menschen haben nicht alles vergessen, was während des Krieges geschehen ist. Dennoch sind wir uns wieder etwas näher gekommen. Das Leben der Menschen in Bosnien ist schwer. Viele müssen ins Ausland gehen um zu arbeiten. Ich hoffe, eines Tages wird das Leben wieder wie früher: Jugoslawien war super. Alle haben sehr gut gelebt und nichts gearbeitet. Damals hatten wir alles: Schulen, Krankenhäuser, man konnte es sich leisten, zum Doktor zu gehen. Das Sozialsystem war das beste der Welt. Der Sozialismus in Jugoslawien war der beste.

Woran liegt es denn, dass es dem Land schlecht geht?
Wir haben zu viele Parteien für zu wenig Volk, wir sind kein besonders großes Land. Und jeder will Macht und Geld. Dazu kommt, dass Bosnien nicht mehr so reich ist wie früher. Die natürlichen Ressourcen sind heute knapper als noch vor dem Krieg. Alles ist gestorben, alles verkauft, alles, was Wert hatte: Wasser, Wälder, Kohle. Alles. Die, die Macht haben, glauben, sie können alles verkaufen. Das Volk hat gar nichts davon. Manche Leute sind reicher geworden, nicht aber die einfachen Menschen. Die, die Macht haben, machen, was sie wollen. Das ist überall so, auch bei Ihnen.

Das Interview in voller Länge erschien in der Wochenzeitung “Falter” (Ausgabe Nr. 47/15) und online unter https://www.falter.at/falter/2015/11/17/jugoslawien-war-super/

--

--

Katharina Siuka
#wegoyugo jpr13

Journalistin, die berufsbegleitend "Content Strategy" studiert. Bloggt über die Verknüpfung beider Disziplinen, Arbeit und Studium und über Achtsamkeit.