Was Journalismus von Content Strategie lernen kann

Katharina Siuka
4 min readJun 10, 2021

In der Branche ist es strittig, ob eine Content Strategie für Medienhäuser nützlich und effektiv wäre. Ich glaube, dass Journalismus von Content Strategie auf jeden Fall lernen kann — etwa in puncto Content Reuse.

Sie sind vermutlich Cousinen 3. Grades: Journalismus und Content Strategie © Pixabay/Lorri Lang

Tagsüber arbeite ich als Journalistin für eine Tageszeitung, am Abend und wochenends studiere ich für meinen berufsbegleitenden Master “Content Strategy”. Freizeit schaut anders aus. Die Doppelbelastung hat freilich null Reiz; sie besticht aber mit viel Mehrwert. Denn auch, wenn Content Strategie und Journalismus keine Geschwister sind, sondern gefühlt Cousine und Cousin dritten Grades, bin ich überzeugt, dass sie viel voneinander lernen können. Und davon profitiere ich in meinem Beruf jetzt schon. Ein paar meiner bis dato gewonnen Erkenntnisse: Was Journalismus von Content Strategie lernen kann.

1. Man lernt nie aus

Journalistinnen und Journalisten tendieren meiner Wahrnehmung nach zu dem Irrglauben, genau zu wissen, was ihre Userinnen und User wollen. Natürlich wollen die Idealistinnen und Idealisten bedeutende Geschichten erzählen und Missstände aufzeigen. Aber Userinnen und User haben unterschiedliche Interessen und eigene Vorstellungen in Bezug auf Nachrichten, Service-Inhalte, oder aber auch in puncto Usability. Sie haben ihr eigenes Nutzerverhalten und ihre Bedürfnisse, brauchen Struktur und Ordnung und so weiter (über Ordnung schreibt übrigens meine COS20-Kollegin Rosa Winkler-Hermaden, die ebenfalls Journalistin ist).

Deshalb habe ich im Rahmen meines Masterstudiums unsere Ressort-Seite auf unserer Website einem qualitativen User Research unterzogen. Es ging mir dabei um Struktur und Navigation, die Wahrnehmung von redaktionellen Inhalten sowie den Nutzen diverser statischer Content-Elemente. Die Ergebnisse waren spannend — am meisten aber begeisterte mich die Erkenntnis, dass sich unsere Abonnentinnen und Abonnenten ganz schön viele Gedanken über das Produkt machen.

Auch auf Nutzerbedürfnisse achten und diese in der Content Strategie erfüllen? Die Userinnen und User werden das lieben © Pixabay/Photo Mix

Die unterschiedlichen Methoden eines User Research können jedenfalls viel über die Bedürfnisse der Userinnen und User verraten. Die Disziplin der Content Strategie besteht darauf, die Nutzerbedürfnisse zu verfolgen. Denn verfolgt man lediglich die Unternehmensziele, wird der Erfolg wohl ausbleiben.

2. Man muss sich definieren

Content Strategin Margot Bloomstein hat uns im ersten Semester “Markenwerte und Botschaftsarchitektur” nähergebracht. Kurz und knapp geht es darum, die Content Strategie auf die Marke aufzusetzen und diese als Richtwert heranzuziehen. Tatsächlich ist es so, dass österreichische Tageszeitungen starke Marken sind: als gedruckte Zeitungen. Digital aber verschwimmt die Marke und das, wofür man steht, oft. Begünstigt wird das durch den enormen Zeit- und Konkurrenzdruck: Alles haben müssen, das die anderen haben — im Idealfall schneller die anderen.

Das ist in meinen Augen ein Trugschluss, der mit der Markenkonformität nicht einhergehen kann. Ja, “content ist king”, wie es meine Studienkollegin Linda Schwarz formuliert (Leseempfehlung: ihr Blogpost “What content strategists can learn from Beyoncé”) — aber “consistency is queen”. Also konsistent und kohärent die starke Print-Marke für die digitalen Plattformen übersetzen und dementsprechend kommunizieren: Wer bin ich, wofür stehe ich? Welche Werte sind mir wichtig?

3. Man inszeniert bewusster

Einen Print-Artikel eins zu eins auf die digitale Plattform einer Zeitung zu transferieren, ist mittlerweile auch im Journalismus zu völliger Oldschoolness verkommen. Zum Glück! Denn grauslicher, als einen klassisch-kreativen, auf Zeichen und Spalten genormten Print-Titel online lesen zu müssen, geht fast nicht. Ergo wird die digitale Inszenierung einer Geschichte immer wichtiger. Stichwort Storytelling, crossmediale Erzählung und Longreads, aber genauso Struktur und den Userinnen und Usern Orientierung bieten.

Mit dem Wissen um SEO, Metadaten User Experience könnte man journalistische Artikel digital gezielter aufbereiten und inszenieren © Pixabay/Karolina Grabowska

Dass Artikel aber von SEO oder Metadaten profitieren könnten, dürfte bei vielen Journalistinnen und Journalisten eher im hintersten Wissenswinkel begraben sein. War zumindest bei mir so: Auf SEO achte ich freilich schon länger, aber Metadaten waren mir bis zum Studienbeginn gelinde gesagt wurscht. Für Google aber gibt es fast nichts wichtigeres. Das gilt auch für die Aufbereitung digitaler Artikel, etwa mit Fettungen, Zwischentiteln, eingebetteten Zusatz-Infos wie Infoboxen oder Zitaten, um den Userinnen und Usern die nötige Orientierung zu bieten.

4. Man kann auch wiederverwerten

Reuse ist hier das Stichwort: In der Content Stragie geht es darum, Inhalte nützlich zu strukturieren und zu organisieren, sie zu warten, gegebenenfalls einem Update zu unterziehen und nachhaltig mit ihnen umzugehen. Redakteurinnen und Redakteure sind es gewohnt, permanent zu produzieren: Das reicht von Geschichten über Infografiken, Fotoserien und Videos, bis zu Postings in den sozialen Medien. Dass sich Content dabei wiederholt, liegt in der Natur der Sache — vor allem bei Großereignissen wie einer Pandemie oder einer Fußball-Europameisterschaft, wie auch bei wiederkehrenden Themen.

Hier gebe es mit Sicherheit für viele Potenzial, um ressourcenschonender zu arbeiten.

Journalistin und Content Strategin Verena Gangl

Umso ressourcenschonender könnte es also für Nachrichtenunternehmen sein, gewisse Inhalte so aufzubereiten und der Redaktion zugänglich zu machen, dass dieser Content wiederverwertet werden kann. Würde den gestressten Redakteurinnen und Redakteuren gut tun. Übrigens: Auch meine liebe Arbeitskollegin Verena Gangl, die “Content Strategy” bereits hinter sich hat (COS18) und mit der ich über dieses Thema bereits diskutiert habe, sieht im Reuse “Potenzial, um ressourcenschonender zu arbeiten”.

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Katharina Siuka

Journalistin, die berufsbegleitend "Content Strategy" studiert. Bloggt über die Verknüpfung beider Disziplinen, Arbeit und Studium und über Achtsamkeit.